"A journalist who is also a bad programmer, stylized in the style of Gary Larson"

Vom Nutzen eines Symposiums

„Social Media managen“ – zwei Seminartage mit der ARD-ZDF-Medienakademie in Leipzig

Zehn Minuten zu spät in der Alten Börse auf dem MDR-Campus: ein schlechter Start. Schnell noch an der Katzentischecke Platz finden, ein W-LAN suchen (erfolglos), eine Steckdose fürs Handy sichern (erfolgreicher), das Shakehands mit den anderen Social-Media-Beauftragten in der ARD auf später verschieben. Nun ja, man kennt sich; die Social-Media-Welt der Öffentlich-Rechtlichen ist noch überschaubar.

Maschinenhalle Escher Wyss 1875 (gemeinfrei, Wikipedia)
Blick in eine Maschinenhalle der industriellen Revolution – der Social-Media-Alltag sieht zugegebenermaßen deutlich entspannter aus. (Bild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons)

Trotzdem wird hier und heute klar, wie schnell sie wächst: die meisten Teilnehmer stammen nicht aus dem kleinen Kreis der Social-Media-Onliner in den Sendern, sondern aus Fernseh- und Radioredaktionen; auch ein Ausbildungsverantwortlicher und sogar ein leibhaftiger Online-Chef sind dabei, das hat mir die Teilnehmerliste verraten. Ausdruck dessen, was die Facebook-Gurus immer predigen: Social Media ist im Alltag angekommen. Dieser Alltag sieht natürlich äußerst verschieden aus, je nachdem, wo und wie man Facebook, Twitter, Blogs und Co. einsetzt. Und deshalb will ich mich nicht beschweren, dass der Titel des Symposiums aus meiner Sicht ein wenig etikettengeschwindelt war: Das Management von Social Media – der Umgang mit mehr oder weniger anstrengenden Nutzern vom Edelfan bis zum Troll, die Suche nach dem nächsten Post und die Frage, was Facebook heute schon wieder geändert hat – die Alltagsarbeit also: sie stand nicht im Mittelpunkt der Veranstaltung. Dafür aber Ideen, Erfahrungen und Erkenntnisse zum produktiven redaktionellen Einsatz des Sozialen Internets.

Vom Buzzwordalarm zum Zurücklehn-Internet

Unter diesem Gesichtspunkt konnte ich mit dem Eingangsstatement des Beraters und Prognostikers Gerd Leonhard (@gleonhard) am wenigsten anfangen. Mag mit meinen Vorurteilen gegen Zukunftsforscher zusammenhängen, aber dass sich das Netz in Richtung „Social Local Mobile Cloud Video“ entwickelt, bringt mich nicht auf konkrete neue Ideen.

Um so nützlicher dafür die vermeintlich dröge Medienforschung. Die BR-Medienforscherin Birgit van Eimeren überbrachte beruhigende und beunruhigende Botschaften für Radio- und Fernsehsender. Beruhigend: Die Mediennutzung wird steigen – sie liegt im Durchschnitt bei etwa sechs Stunden täglich, etwas mehr als eine halbe Stunde davon mit zwei oder mehr Medien parallel. Und die Sofakartoffel, der „Lean-Back“-Nutzer, bleibt uns erhalten.

Beunruhigend: Es wird zwar immer mehr ferngesehen – aber von immer weniger Menschen. In großen Nutzergruppen bricht das lineare Fernsehen massiv ein, haben sich netzbasierte Medienangebote als Teil des „relevant set“ aus den fünf, sechs meistgenutzten Medienmarken etabliert. Droht den Machern linearer Programme der Generationenabriss? Nun ja: „An die Zukunft von live gestreamtem TV in zehn, fünfzehn Jahren glaube ich auch nicht mehr“, sagt die Medienforscherin – aber unterstreicht, dass die Nutzung von Radio und TV immer noch vergleichsweise stabil ist, auch weil Netzangebote erst in Ansätzen „lean back“ nutzbar sein können. (Dass ausgerechnet soziale Netze wiederum das lineare Fernsehen retten können, lernten wir von einem Beispiel am zweiten Tag des Symposiums – dazu später mehr.)

Leichte Schläge auf den Hinterkopf von guten Freunden

Über Twitter hatte die Medienforscherin Ernüchterndes zu sagen gehabt: Ein Nischenmedium – von Medienmachern total überschätzt. Der Auftritt der deutschen Twitter-Managerin Isa Sonnenfeld (@isasun) unterstrich, wie Twitter gegen die Übermacht von Facebook bestehen will: eben in dieser Nische – als Echtzeit-Begleitkanal zu etablierten Medienangeboten.

Das Modewort Social TV reckte das erste Mal sein Haupt – und bekam von Sonnenfeld gleich etwas auf den Hinterkopf: „Social TV ist, wie wir das sehen, eigentlich nicht wirklich innovativ.“ Ihre leicht marketinglastige Präsentation brachte denn auch eine Menge Beispiele mit, wie Sender Tweets zur Echtzeitkommunikation undals Stimmungsmessungs-Tool einsetzen – und empfahl Erfolgsrezepte für erhöhtesNutzerengagement: Hashtags und Twitterer-Namen on air verwenden, Nutzer kreativ zum Mitmachen auffordern, reale und fiktionale Charaktere twittern lassen. Tatort Münster to the rescue!

Für etwas weniger leichte Schläge war jetzt.de-Chef (und Blogger) Dirk von Gehlen (@dvg) eingeladen, der sich mit den Worten „Ich komme in absoluter Freundschaft“ einführte und seine Kritik öffentlich-rechtlicher Social-Media-Aktivität in subversive Freundlichkeit verpackte – etwa indem er statt eines realen Facebook-Auftritts von ARD oder ZDF bewusst die Satire-Seite des fiktiven „JuKa“ für ihre Dialogferne zauste. Und er hatte viele, viele Sätze fürs Stammbuch mitgebracht (hier ein paar):

  • „Transparenz ist die neue Objektivität.“
  • „Redaktionen in Gänze haben keine Meinung – ich will mit einem Menschen diskutieren.“
  • „Unsere SZRedakteure bekommen gesagt: Verhaltet euch auf Twitter so, als säßet ihr im ARDPresseklub.“ 
  • Und als Leitsatz für Social-Media-Verantwortliche ein Zitat des hier twittertauglichen Philosophen Hans-Georg Gadamer: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“ 

Wer danach keine Tafel mit Merksätzen in der Redaktion anbringt, hat keine Wände.

Trimedial in Trippelschritten

Lernen kann man auch davon, wie sich der MDR derzeit dem Problem der Crossmedialität nähert, sprich der Einsicht, dass es den Nutzern ja immer egaler ist, für welches Medium und welchen Kanal wir einen Inhalt produziert haben. Trimedial arbeiten, den Nutzern immer das bestmögliche Angebot machen, miteinander arbeiten statt nebenher – dieses Ziel streben zurzeit alle Sender an und sind doch noch mehr oder weniger weit davon entfernt. (Wie weit, zeigt – Achtung, Empfehlung – die Medienakademie-Veranstaltung „Redaktionsbesuch bei der BBC“, ein paar meiner Beobachtungen habe ich hier festgehalten).

Der erste Schritt ist, dass Radio, Fernsehen und Online wenigstens ihre Planung
koordinieren – so geht der MDR in Richtung echter Trimedialität und hat seit einem Jahr einen trimedialen Newsdesk eingerichtet; Stefan Raue, erster trimedialer Chefredakteur, stellte das Projekt vor. Planer aus fünf Redaktionen sitzen an einem Tisch zusammen, diskutieren Themen, tauschen Material. Aktuelle Themen werden zudem über ein MDR-internes Tool koordiniert, das auflistet, wer an einem Thema beteiligt ist und Hinweise auf eventuelle rechtliche oder journalistische Probleme enthält.

Raue betonte, dass viele der positiven Effekte des Desks nicht in Zahlen zu fassen seien – Themen und Gewichtungen werden diskutiert, das Verständnis für die Arbeitsweisen und Ziele der anderen Medien wächst. Allerdings hat das Modell im MDR noch Grenzen: Die mächtigen Landesfunkhäuser sind nicht trimedial organisiert und nur mittelbar an den Desk angeschlossen.

Jäten im Social-Media-Markengarten

Guido Bülow (@guidobuelow) ist als Distributionsmanager des SWR für dessen Social-Media-Auftritte verantwortlich – und stand vor einer wenig beneidenswerten Aufgabe, von der er zum Auftakt des zweiten Tages berichtet hat: Nach einer Zeit der Experimente den Facebookund Twitter-Wildwuchs im eigenen Haus wieder einzudämmen.

Als Basis diente ihm eine VIP-Liste der starken Marken des SWR: Der Sender hat untersucht, welche Sendungsund Sendernamen bei den Nutzern bekannt und wirkungsstark sind – und auf die wurden auch die Social-Media-Präsenzen konzentriert. Das konnte heißen, dass erfolgreiche Angebote umlackiert werden – wie etwa das Sechseinhalbtausend-Follower-Twitteraccount des Hörfunk-Umweltredakteurs, das jetzt optisch der Fernsehmarke „Odysso“ zugeordnet wird. Das konnte auch heißen, das Klein- und Kleinst-Angebote fusioniert und geschlossen wurden – mal mit dem Segen der Redaktionen, mal gegen ihren Widerstand. Da postete dann auch schon mal eine Redaktion, sie sei jetzt leider gezwungen, diese Facebook-Seite stillzulegen, was sie bedauere. Der erfolgreichste und meist diskutierte Post, den die Seite je hatte, wie Guido Bülow anmerkt.

Social Media ist umso selbstverständlicher, je stärker die Marke ist. Starke Marken dürfen fast alles – was aber nicht heißt, dass man sie nicht berät, um zu sinnvollen und erfolgreichen Angeboten zu kommen. Einmal gelang es sogar, Redaktionen über ihre Online- und Facebook-Auftritte dazu zu bewegen, Sonderwege aufzugeben – der Sport im SWR wird in Zukunft unter der gemeinsamen Marke „Sport im Südwesten“ auftreten.

Lehren aus dem Marken-Prozess zog Guido Bülow auch: Du brauchst ein gutes Zeitmanagement – sprich: einen langen Vorlauf. Du brauchst klare Beschlüsse der Geschäftsleitung – sprich: Rückenwind aus der Führungsetage. Und: Du brauchst klare Indikatoren, an denen sich der Erfolg einer Social-Media-Präsenz bemessen lässt.

Was man mit Geld alles machen kann

Als öffentlich-rechtlicher Onliner leidet man ja oft unter einem Minderwertigkeitskomplex: Wir wissen, dass wir uns in einer sehr eigenen Welt bewegen, und glauben, dass wir mit den Standards kommerzieller Unternehmen in vielem nicht mithalten können (dafür wähnen wir uns bekanntlich im Besitz eines überlegenen moralischen Standpunkts, aber das ist eine andere Geschichte). Christian Bachem hat diesen Minderwertigkeitskomplex zumindest bei mir ordentlich gefüttert. Der Mann vom „Web Excellence Forum“ präsentierte eine Reihe von Werkzeugen und Messinstrumenten, die dieser von Großunternehmen getragene Verein entwickelt hat und mit dem sich Erfolg und Leistungsmerkmale eines Social-Media-Auftritts erheben lassen. Etwa Antwortgeschwindigkeit und –quote einer Facebook-Seite in Reaktion auf Nutzerkommentare. Oder die tatsächliche Wirkung von Social-Media-Aktivitäten auf das Markenimage.

Qualität, Leistung, Wertbeitrag – als Social-Media-Verantwortlicher kann man beim WebXF ein umfassendes Instrumentarium bekommen, für einen niedrigen vierstelligen Betrag im Monat. Was sich in der Größenordnung für Monitoring-Tools bewegt, die man ja ohnehin noch braucht für eine umfassende Markenbeobachtung. Es ist schön, nicht auf den Cent starren zu müssen.

Andererseits: ganz so tief muss der Neid auf die Privatwirtschaft dann doch nicht gehen. Im Verlauf seines Vortrags erwähnte Bachem das Beispiel eines Logistikunternehmens mit vielen, vielen Filialen (mir fällt der Name nicht ein, und wenn ich grüble, bis ich gelb werde), das meinte: lass uns eine Facebook-Seite einrichten, über die wir unsere Pressemitteilungen posten. Und sich dann doch wunderte, dass nicht Dank für die schöne PR zurückkam, sondern jede Menge Gemecker von unzufriedenen Kunden des Unternehmens.

Radio für die „Generation Skip“

„Was haben wir uns damals über die Musikindustrie lustig gemacht. Ich fürchte, dass wir den gleichen Fehler begehen.“ Ein junger Schweizer, Liebhaber des alten Mediums Radio, stellt sein Online-Projekt vor – an diesem Nachmittag wussten wir ja noch nicht, dass es wenig später den Prix Europa bekommen sollte, in der Sparte Online-Innovation. Dominik Born ist Angestellter einer Tochterfirma des öffentlich-rechtlichen Schweizer Rundfunks, und sein Radio-Remixer diy.fm ist ein U-Boot, im eigenen Haus umstritten: letzten Endes hat Born da ein Tool gebaut, der ein Angriff ist auf die Integrität der eigenen Programme. Eine Vorstellung, die mich begeistert hat – trotz aller Beschränkungen und Schwächen, die diy.fm noch hat, wurde für mich deutlich, wo sich Radio-Angebote hinentwickeln werden, wenn sie noch die einfangen wollen, die die WDR-Kollegin Schiwa Schlei als „Generation Skip“ bezeichnet hat – die, die mit Youtube-Playlisten als Radioersatz aufwachsen. (Warum ich diy.fm so bemerkenswert finde, habe ich ausführlich hier verbloggt.)

Social TV rettet lineares Fernsehen

Auch der Bericht des RTL2-Onlinechefs über die Strategie hinter dem Social-TV-Mega-Erfolg „Berlin – Tag&Nacht“ hat längst einen eigenen Post hier.

Etcetera

Eine alte Weisheit versierter Barcamp-Geher: Die Pausen zwischen den Vorträgen sind oft das Wichtigste. Besonders wichtig waren für mich deshalb die zwei Programmpunkte:

  • Zum einen der Austausch beim gemeinsamen Abendessen in der Leipziger Innenstadt. (Wo doch das altgriechische Wort „Symposion“ ohnehin für „gemeinsames geselliges Trinken“ steht, wie unser Gastgeber Stefan Robiné anmerkte.) +
  • Zum anderen der Programmpunkt „Bring your own“, eine barcamp-artige, weil weitgehend ungeplante, Runde mit aktuellen Projektberichten aus den Sendern; Käthe Day vom WDR-Sport berichtete die Erfahrungen mit dem Experiment„Social Radio“ – Champions League plus ScribbleLive, Christoph Rieth aus dem MDR zeigte, dass Social TV auch mit großen Fernsehspielen wie dem „Turm“ hervorragend funktioniert, und ich hatte Gelegenheit, über unsereBemühungen zu sprechen, auch außerhalb der Bürozeiten auf allen Social-Media-Kanälen ansprechbar zu sein – tröstliche Erkenntnis für mich: ähnliche Probleme, die etwa beim ZDF auch zu ähnlichen Lösungen geführt haben.

Wie es so ist bei Symposien: Jeder bringt etwas anderes mit, jeder nimmt etwas anderes mit nach Hause. Mir war und ist der Austausch besonders wichtig, der spielte eine erfreulich große Rolle. Auch die Öffnung einer internen Veranstaltung ins Netz („Sie können twittern, aber Sie müssen nicht“) finde ich bemerkenswert. Leider wurde das gewählte Hashtag auch noch von einer Konferenz in London genutzt – wer #smm nachliest, soll sich bitte nicht wundern: ganz so eifrige Twitterer waren wir dann doch nicht…

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Kommentare

Eine Antwort zu „Vom Nutzen eines Symposiums“

  1. Danke für die Zusammenfassung!

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