"A journalist who is also a bad programmer, stylized in the style of Gary Larson"
Kugeliges Gebäude mit zahlreichen Bild- und Videoschnipseln auf der Oberfläche; davor kniend: wütender Mann

Wie verhindern wir, dass die Wutmaschine uns alle auffrisst?

Wer in diesem Blog nur Artikel über meine Experimente und Spielereien mit KI erwartet: bitte weglesen. Aber das, worum es mir jetzt geht, ist entscheidend für meine Arbeit als Journalist – es könnte entscheidend sein für den Fortbestand unserer liberalen Gesellschaft.

Der Anlass: Ich habe gerade nachrecherchiert, wie aus einem kleinen Patzer der hessenschau in der Sicht vieler ansonsten vernünftiger, freundlicher, beherrschter Menschen ein Aufreger wurde. Ist ein wenig problematisch, wie alle Recherchen in eigener Sache – aber ich glaube trotzdem, dass es sich lohnt, den Fall zu studieren; wir kommen bei nächster Gelegenheit darauf zurückt. (Übrigens, um den Dauererregten die Arbeit ein bisschen leichter zu machen: Der Autor des Artikels ist ein Fälscher, ein Corona-Mittäter, lässt sich von Regierungsbehörden beschäftigen und sucht die Nähe zu den internationalen Tech-Eliten.)

Beitragsbild: Midjourney, „a huge rage machine spewing disinformation and video snippets of public personas, in the style of gary larson“

Was mich dabei erschreckt; was mich immer wieder erschreckt: Wie groß die rechtsextremistische Wutmaschine geworden ist. Hunderttausend Telegram-Abonnenten hier, ein paar hunderttausend Twitter-Views hier, hundertausend auf Youtube, hunderttausend auf Tiktok. Die Zahlen der Plattformen sind mit Sicherheit aufgeblasen, aber die Wutmaschine erzielt Wirkungstreffer.

Über die unrühmliche Rolle, die die Erregungsseiten von Ex-Journalisten wie Julian Reichelt, Boris Reitschuster oder Roland Tichy dabei spielen – Profis, die sie nun mal sind – muss man sprechen. Auch darüber, ob es nicht finanzielle und geostrategische Schützenhilfe gab beim Aufbau der Wutmaschine. Aber inzwischen ist sie selbsttragend – und immer mehr Menschen geraten in ihren Einflussbereich. Werden mit Schnipseln versorgt, die ihnen mundgerechte Anlässe zur Wut präsentiert – und ihr Bild von Politikern und anderen öffentlichen Personen prägt: Abgehoben, weit weg von uns normalen Menschen. „Die da oben“ – das ist die Definition von Populismus. Das ist die Mission der Wutmaschine.

Wenige Dinge haben dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet so geschadet wie das Bild, wie er angesichts einer Katastrophe feixt. Der Kontext – dass auch ein Spitzenpolitiker angesichts einer solchen Katastrophe eine enorme innere Spannung aufbaut – spielte keine Rolle. Futter für die Wutmaschine (die in diesem Fall übrigens auch von SPD-Politikern angefüttert wurde).

LASCHET LACHT bei bewegender Rede zur Flutkatastrophe – Wahlkampf aus Kosten der Flutopfer?

Social Media – TikTok wie Instagram, Xitter, Telegram – ist „snackable“, schnipsel-orientiert. Ich glaube sogar, dass Social Media mittelfristig unsere Fähigkeit beeinträchtigt, längere Texte und Kontexte zu verarbeiten.

Und damit sind wir jetzt doch kurz beim Thema KI: dass KI das übernehmen kann, lange Inhalte für uns zusammenzufassen, wird die Entwicklung beschleunigen: wir wollen nur noch die Schnipsel. Und natürlich macht KI es viel leichter, die Wutmaschine noch weiter zu automatisieren.

Die Wutmaschine will anstecken. Und so sind ganz normale, vernünftige, freundliche und beherrschte Menschen inzwischen überzeugt, dass – nehmen wir mal ein US-Beispiel – Joe Biden nicht mehr zurechnungsfähig ist. Oder dass es zu den US-Wahlergebnissen von 2020 immer noch offene Fragen gibt. Sie haben es doch gesehen, in zehntausenden kleinen Bildern und Informationsschnipseln. Aliquid haeret.

Und wenn man zehn kleine liebevoll zusammengesuchte Schnipsel zu sehen bekommen hat, die vermeintlich immer wie das gleiche zeigen – angebliche Medien-Manipulationen, Straftaten von Geflüchteten – dann hält man sie für allgegenwärtig. Etwas, das in unserer Vorstellung lebendig ist, halten wir für viel wahrscheinlicher und häufiger, als es ist – Flugzeugabstürze und Terrorangriffe erzeugen mehr Angst als Autounfälle. Die Psychologen nennen das Sichtbarkeitsillusion, und sie ist ein weiteres Ziel der Wutmaschine.

Der einmal gewählte Weg bleibt bestehen

Nicht, dass die Chancen gut wären, die Ansteckung durch die Wutmaschine zu verhindern – oder rückgängig zu machen. Menschen neigen dazu, an einmal getroffenen Urteilen festzuhalten. Das lesenswerte Buch „Ich habe recht, auch wenn ich mich irre“ der Psychologen Carol Tavris und Elliot Aaronson erklärt die „Dissonanztheorie“. (Hier ein kurzes Interview mit den beiden – böse Pointe übrigens, dass der Charme ihres Buchs auch im perfekt schnipseltauglichen Titel liegt.) Sie zeichnen das Bild einer Pyramide, die man auf der einmal gewählten Seite hinunterrutscht.

Ich finde: Das bessere Bild wäre eine Weggabelung im Wald. Wir wissen nicht, welcher Weg der bessere ist. Wenn wir uns aber einmal entschieden haben, bleiben wir auf dem Weg – einfach weil es zu mühsam wäre, sich einzugestehen: das war wohl die falsche Entscheidung, und zurückzulaufen. Also suchen wir aktiv nach Bestätigung, dass wir den richtigen Weg gewählt haben – und sammeln immer mehr Kilometer auf diesem Weg an.

So ticken wir Menschen, alle: Der Bestätigungsirrtum ist unser ständiger Begleiter, wir sind keine unabhängigen und gerechten Richter, sondern skrupellose Anwälte in eigener Sache. Und wir mögen es gar nicht, wenn man uns gönnerhaft über unseren Irrtum belehrt – als jemand, der nur allzu leicht belehrend zu werden droht, darf ich das mit Zuversicht sagen.

Guerilla-Kampf gegen die Wutmaschine

Was also tun? Das einzige, was mir einfällt, ist: dass wir Menschen, die uns kennen und vielleicht sogar mögen, die Wutmaschine zeigen. Ohne ihnen damit zu unterstellen, dass ihre Meinung ja nur eine Folge plumper Manipulationen sei; vielleicht weisen sie uns im Gegenzug auf unsere eigenen Blindheiten hin, und dann kommt eine fruchtbare Diskussion zustande.

Und: Dass wir sie wie uns darauf verpflichten, die allergrundlegendsten Hygieneregeln der digitalen Informationswelt zu beachten.

  • Teile nichts weiter, was du nicht selbst gelesen (angehört…) hast.
  • Und lies mehr als die verdammte Überschrift und den Teaser.
  • Verfolge Inhalte zurück zu den Quellen. Quelle ist nicht der Tweet von Kusine Gisela, sondern der Youtube-Channel, aus dem das Video stammt, das sie postet.
  • Bilde dir ein Urteil über diese Quellen. Beurteile sie danach, wie sie arbeiten: Wie gehen sie mit eigenen Fehlern um?
  • Denk an „Hanlon’s Razor„: Unwissen und Schlamperei sind bessere Erklärungen als böse Absichten und Verschwörungen.
  • Rüste ab. Was deine Aufregung will, bekommt dein Misstrauen.
  • Und bitte, bitte, bitte: Schau immer auf den Kontext; auf das, was beim Schnipseln unter den Tisch gefallen ist.

Wunder erwarte ich mir davon auch nicht. Aber irgendwo muss man ja anfangen.

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